Wenn du an Piraten denkst, siehst du vermutlich Jack Sparrow vor dir: charmant, betrunken, irgendwie sympathisch. Die echten Piraten der Karibik waren anders. Brutaler. Cleverer. Und manchmal überraschend modern in ihren Methoden.
Zwischen 1650 und 1730 terrorisierten Tausende Freibeuter die Handelsrouten zwischen Europa, Afrika und Amerika. Manche wurden reich, die meisten starben früh. Einige wenige schrieben Geschichte. Das sind ihre Geschichten.
Edward Teach – Blackbeard, der Mann mit dem brennenden Bart
Niemand verkörpert das Bild des Piraten so sehr wie Edward Teach, besser bekannt als Blackbeard. Seine Erscheinung war Kalkül. Vor Kämpfen flocht er brennende Lunten in seinen langen schwarzen Bart. Der Rauch umhüllte sein Gesicht wie eine dämonische Maske. Seine Gegner ergaben sich oft, bevor ein einziger Schuss fiel.
Teach kaperte zwischen 1716 und 1718 etwa vierzig Schiffe. Sein Flaggschiff, die „Queen Anne’s Revenge“, trug 40 Kanonen – eine schwimmende Festung. Im Mai 1718 blockierte er den Hafen von Charleston, South Carolina, und erpresste die Stadt um medizinische Vorräte. Nicht um Gold. Um Medizin gegen Geschlechtskrankheiten, die seine Crew dezimierte.
Im November 1718 stellte ihn Lieutenant Robert Maynard vor der Küste North Carolinas. Der Kampf war kurz und brutal. Teach kämpfte mit fünf Schusswunden und zwanzig Schwerthieben weiter, bis Maynard ihm schließlich die Kehle durchschnitt. Sein abgeschlagener Kopf baumelte als Warnung am Bugspriet.
Interessant ist: Teach war nur zwei Jahre als Pirat aktiv. Aber seine Selbstinszenierung war so perfekt, dass sein Name 300 Jahre überdauerte.
Anne Bonny – Die Frau, die lieber kämpfte als kochte
Anne Bonny brach jede Regel ihrer Zeit. Geboren um 1700 in Irland, wuchs sie in South Carolina auf. Mit achtzehn heiratete sie einen mittellosen Seemann – und langweilte sich tödlich. Also verließ sie ihn, verkleidete sich als Mann und heuerte auf einem Piratenschiff an.
Auf der „Revenge“ des Kapitäns Calico Jack Rackham fiel ihre Tarnung schnell auf. Nicht weil sie unfähig war – sondern weil sie zu gut kämpfte. Rackham machte sie zu seiner Geliebten und seiner rechten Hand. Zusammen kaperten sie Dutzende Schiffe entlang der kubanischen Küste.
1720 wurde die „Revenge“ von einem britischen Kriegsschiff gestellt. Die männliche Crew war betrunken. Nur Bonny und ihre Kampfgefährtin Mary Read verteidigten das Deck. Bonnys letzte Worte an den feigen Rackham, bevor er gehängt wurde: „Hättest du wie ein Mann gekämpft, müsstest du jetzt nicht wie ein Hund sterben.“
Bonny selbst wurde zum Tode verurteilt, aber nie hingerichtet – sie war schwanger. Was danach mit ihr geschah, weiß niemand. Manche Quellen behaupten, ihr wohlhabender Vater kaufte sie frei. Sie verschwand aus den Aufzeichnungen wie ein Geist.
Henry Morgan – Vom Piraten zum Gouverneur
Henry Morgan war ein Pragmatiker. Er verstand, dass Piraterie ein Geschäft war – und dass die besten Geschäfte legal ablaufen.
In den 1660er Jahren führte Morgan eine Privateer-Flotte für England gegen spanische Kolonien. Offiziell war er kein Pirat, sondern Kriegspartei. Praktisch machte das keinen Unterschied für die Städte, die er plünderte. 1671 marschierte er mit 1.400 Mann durch den Dschungel von Panama und eroberte Panama-Stadt. Die Beute: über 400.000 Pfund Sterling, ein Vermögen, das heute mehreren hundert Millionen Euro entspräche.
Das Problem: England hatte kurz zuvor Frieden mit Spanien geschlossen. Morgan wurde verhaftet und nach London gebracht – nicht zur Hinrichtung, sondern zum Dinner mit König Charles II. Der König adelte ihn und ernannte ihn zum Vizegouverneur von Jamaika.
Als Gouverneur jagte Morgan nun die Piraten, die er früher befehligt hatte. Er kannte jede Bucht, jeden Trick, jede Schwäche. Unter seiner Verwaltung wurde Port Royal zur sichersten Hafenstadt der Karibik – bis ein Erdbeben 1692 zwei Drittel der Stadt ins Meer riss.
Morgan starb 1688 an Leberzirrhose, reich und respektiert. Sein Name ziert heute eine Rummarke. Die Ironie hätte ihm vermutlich gefallen.
Bartholomew Roberts – Black Bart, der Rekordhalter
Bartholomew Roberts kaperte in nur vier Jahren mehr Schiffe als jeder andere Pirat in der Geschichte: über 470. Seine Methode war simpel: Geschwindigkeit und Disziplin.
Roberts trank keinen Alkohol. Auf seinen Schiffen gab es strikte Regeln: Kein Glücksspiel, kein Streit, keine Frauen an Bord. Sonntagsruhe war Pflicht. Wer die Regeln brach, wurde ausgesetzt oder ausgepeitscht. Seine Mannschaft hasste und bewunderte ihn gleichermaßen.
Er operierte zwischen Neufundland und Brasilien, von Afrika bis zur Karibik. Seine Taktik: Überraschung. Er griff bei Sonnenaufgang an, wenn die Besatzungen noch schliefen. Seine Flagge zeigte ihn selbst, wie er auf zwei Totenköpfen stand – symbolisch für „einen Barbadier, einen Martiniquianer“. Er hasste diese beiden Inseln besonders und zeigte es offen.
Im Februar 1722 stellte ihn die britische Fregatte HMS „Swallow“ vor der Küste Gabuns. Roberts trug seinen besten roten Samtanzug mit Diamantkreuz. Eine Kartätschenladung riss ihm die Kehle auf. Seine Crew warf seinen Leichnam über Bord – wie er es gewünscht hatte. Lieber das Meer als der Galgen.
Von seiner Besatzung wurden 52 Mann gehängt. Die größte Piratenexekution der Geschichte.
Calico Jack Rackham – Der Pirat mit der besten PR
John Rackham war kein großer Krieger. Er kaperte hauptsächlich kleine Fischerboote und Handelsschiffe. Sein Ruhm kommt nicht von seinen Taten, sondern von seinem Design.
Rackham erfand die Flagge, die heute jeder als Piratenflagge kennt: Totenkopf mit gekreuzten Schwertern auf schwarzem Grund. Sein Spitzname „Calico Jack“ kam von seiner Vorliebe für bunte Kattunkleidung – ungewöhnlich für Seeleute, die meist gedeckte Farben trugen.
Seine wahre Berühmtheit verdankt er seinen Crew-Mitgliedern: Anne Bonny und Mary Read, die beiden einzigen dokumentierten weiblichen Kampfpiraten der Karibik. Als sein Schiff 1720 angegriffen wurde, versteckte sich Rackham mit den meisten Männern unter Deck. Nur die beiden Frauen kämpften.
Er wurde gehängt. Sein Körper blieb monatelang in einem Eisenkäfig am Hafen von Port Royal zur Abschreckung. Die Stelle heißt heute noch „Rackham’s Cay“.
Das Ende einer Epoche
Um 1730 war das goldene Zeitalter der Piraterie vorbei. Größere Kriegsschiffe, bessere Koordination zwischen den Kolonialmächten und härtere Strafen machten das Geschäft zu riskant. Die meisten Piraten starben jung – am Galgen, in Seeschlachten oder an Tropenkrankheiten.
Was blieb, sind die Geschichten. Manche wahr, viele übertrieben, einige erfunden. Aber hinter den Legenden stehen Menschen, die in einer brutalen Zeit mit brutalen Mitteln überlebten. Manche waren Psychopathen. Manche waren Geschäftsleute. Einige waren beides.
Ihre Flaggen wehen längst nicht mehr. Aber ihre Namen kennt noch immer jeder, der jemals vom Wind auf offener See geträumt hat.





